Tonräume

Inhaltsverzeichnis

Was sind Tonräume?

„Tonraum“ kann unterschiedliche Bedeutungen haben: Ein Raum, in dem Ton zum Töpfern lagert, ein Tonstudio, ein Raum zum Üben, der Tonumfang eines Sängers, der Tonumfang eines Musikstücks, u.s.w. Hier geht es um melodische Tonräume. Der melodische Tonraum eines Liedes oder eines Musikstücks wird durch den höchsten und den tiefsten Ton begrenzt.

In dem folgenden Beispiel sieht man die Noten des Mückenliedes. Im ersten Teil des Liedes ist der tiefste Ton ein d‘ und der höchste ein f‘. Der Tonraum umfasst also nur 3 Töne: d‘, e‘ und f‘, und ist ein Dreitonraum.

Im zweiten Teil des Liedes ist der tiefste Ton wieder das d‘, der höchste Ton ist aber jetzt ein a‘. Der Tonraum umfasst also 5 Töne und ist ein Fünftonraum.

Ein Ton alleine kann keinen Raum bilden. Ein Ton alleine kann auch noch keine Musik sein. Musik entsteht erst durch ein Geflecht von Beziehungen verschiedener Töne untereinander.

Man erkennt einen melodischen Tonraum nur über das Hören: klingt die Melodie vollständig? Oder fehlen nicht noch Töne oder passen einige nicht so richtig dazu?

Man kann sich einen melodischen Tonraum auch wie ein Haus vorstellen, in dem die Töne wohnen, die zusammen eine Familie bilden. Manchmal kommen auch Töne aus einem anderen Tonraum dazu, dann hört man sofort, dass sie „fremd“ sind. Manche Familien (Musikstücke) freuen sich über Besuch von außen, dann wird es in ihrem Haus (Tonraum) sehr bunt und interessant. Manche fühlen sich durch fremde Töne eher gestört und versuchen möglichst schnell, die Harmonie wieder herzustellen. Manche bleiben einfach brav in ihrem Haus (Tonraum ) und fühlen sich dort so richtig wohl.

Man kann sich Tonräume natürlich auch im Kopf ausdenken oder mit den Augen auf den Klaviertasten zusammensuchen. Aber ob sie für eine Musikstück geeignet sind, das in sich stimmig klingen, kann nur das Ohr entscheiden.

Jeder Tonraum kann auf jedem der 12 Töne beginnen. Am Anfang helfen kleine Tricks wie die „Tastenrutsche“, mit der man von den schwarzen Drillingen und Zwillingen auf die weißen Tasten rutscht. Wenn das Gehör sicher genug ist, kann man einen Tonraum aber auch ohne diese Tricks versetzen, einfach nach Gehör.

Welche Tonräume gibt es?

Es gibt diatonische und chromatische Tonräume. Die diatonischen Tonräume sind aus den Tönen einer Tonart gebildet, oder aus der Tonleiter. In C-Dur wären das also Tonräume, die nur aus weißen Tasten bestehen. In chromatischen Tonräumen können alle 12 Töne unseres Tonsystems einbezogen werden (alle weißen und schwarzen Tasten). In anderen Musikkulturen gibt es noch ganz andere Möglichkeiten. Aber da wir auf dem Klavier sowieso „nur“ 12 verschiedene Töne haben, kommen andere Möglichkeiten gar nicht in Frage.

Diatonische Tonräume

Die folgenden Notenbeispiele zeigen die Tonnamen der Relativen Solmisation und jeweils ein bekanntes Lied als Beispiel.

Zweitonräume

Die kleinsten melodischen Tonräume bestehen aus 2 Tönen. Ganz leicht finden wir auf dem Klavier die erste Zweitongruppe auf den schwarzen Zwillingen. Ein Zwilling besteht aus 2 Nachbartönen im Ganztonabstand. Der Tonraum ist zwar wirklich klein, aber Melodien auf den Zwillingen sind in sich stabil, man vermisst keinen Grundton. Zwillinge gehören zur Pentatonik.

Russische Klavierschule, Band 1, Nr. 1

Mehr Lieder auf Zwillingen findest du hier.

Kuckucksterz

Die Kuckucksterz ist ein elementarer natürlicher melodischer Tonraum, da sie Bestandteil der Obertonreihe ist. Man nennt sie auch Rufterz. Auf dem Klavier findet man sie ebenso schnell wie die Zwillinge: Es sind die beiden schwarzen Tasten rechts und links neben den Lücken, es gibt zwei davon. Im Gegensatz zu anderen Tonräumen gibt es keine Töne in der Mitte. Auch eine Kuckucksterz braucht keinen weiteren Ton, um vollständig zu klingen, auch sie gehört zur Pentatonik.

Russische Klavierschule, Band 1, Nr. 2

Dreitonräume

Drillinge

Ein Drilling besteht aus 3 Nachbartönen im Ganztonabstand. Am schnellsten findet man diesen Tonraum auf den schwarzen Tasten. Auch Drillinge gehören zur Pentatonik.

Drilling auf G.
„Mary had a little lamb“. Das Lied ist ein Hit!

Mehr Lieder auf Drillingen gibt es hier.

Dreiklänge

Dreiklänge gibt es in Dur, Moll, vermindert und übermäßig. Bis jetzt habe ich allerdings nur Lieder auf Dur- oder Moll-Dreiklängen gehört. Verminderte und übermäßige Dreiklänge sind schwer zu singen, sie hören sich nicht „natürlich“ an und eignen sich deshalb nicht so gut für ein Lied. Die Strebewirkungen in Richtung Dur-/Moll-Tonalität sind zu stark. Aber natürlich sind sie gerade deswegen klanglich und harmonisch interessant und für Improvisationen gut zu verwenden.

G-Dur-Dreiklang.
Anfang des Drescherliedes.

Viertonräume

Viertonräume wurden schon bei den alten Griechen beschrieben als vier Töne innerhalb einer reinen Quarte. Darum nennt man sie auch heute noch Tetrachorde, nach dem griechischen Wort „tetra“ = vier und dem griechischen Wort „chord“ = Saite. Dabei entstehen zwangsläufig Halbtonschritte, weshalb Tetrachorde nicht zur Pentatonik gehören. Im Dur-Tetrachord befindet sich der Halbtonschritt zwischen dem 3. und 4. Ton.

Dur-Tetrachord auf G
Das Lied steht in der Russischen Klavierschule, Band 1, Nr. 4, dort auf dem Grundton C.

Den Begriff Tetrachord kennen die meisten Musiker heute, weil man eine siebenstufige Tonleiter gut als zwei übereinander gesetzte Tetrachorde erklären kann.

Fünftonräume

Fünftonraum Dur

Wird dem Tetrachord noch ein 5. Ton hinzugefügt, die Quinte SO, erhalten wir den Fünftonraum Dur. Das ist der mit Abstand beliebteste Tonraum bei Klavierschülern! Er passt genau auf die 5 Finger – oder umgekehrt. Der Fünftonraum ist schon ein zusammengesetzter Tonraum, in dem ein Drilling, eine Kuckucksterz SO-MI (oben) und der Halbtonschritt zwischen MI und FA enthalten ist. Melodien im Fünftonraum Dur streben meist nach oben. Man kann diese Unter-Tonräume ganz gut heraushören in dem Lied „Kuckuck rufts aus dem Wald“

Fünftonraum G-Dur.
Brunnenlied
Fünftonraum G-Dur.
Kuckuckslied mit erkennbarer Kuckucksterz.

Fünftonraum Moll

Der Fünftonraum Moll setzt sich zusammen aus Drilling, Kuckucksterz DO – LA (unten) und einem Halbtonschritt zwischen DO und TI (Leitton). Melodien im Fünftonraum Moll streben meist nach unten.

Fünftonraum Moll auf E.
„Die kleine Birke“ aus der Russischen Klavierschule, Band 1, Nr. 16

Pentaton

Pentaton kommt aus dem griechischen Wort „penta“ = fünf. Der Pentaton setzt sich zusammen aus Drilling und Zwilling, und zwischen ihnen befindet sich eine Kuckucksterz. Ob der Drilling oben oder unten ist, macht keinen so einen großen Unterschied für den Klang.

Old Mac Donald ist wohl das bekannteste pentatonische Lied der Welt.
Schlußtakte der Melodie „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg.

Sechstonräume

Sechstonräume sind zusammengesetzte Tonräume. In Dur oder Moll kann man einen Sechstonraum aus einem Pentaton + 1 Halbton bilden. Je nachdem, wo der Halbton liegt, ergibt sich Dur oder Moll.

Sechstonraum Dur

Sechstonraum Dur auf G.
Das Lied ist auch bekannt als „Morgen kommt der Weihnachtsmann“

Anders als der Fünftonraum lässt sich der Sechstonraum nicht einfach spiegeln. Ist der Drilling rechts und der Zwilling links und ergänzt man dazwischen ein TI, klingt es doch wieder nach Dur, weil der Halbton zwischen dem 3. und 4. Ton sitzt.

Sechstonraum Moll

Fügt man einem Fünftonraum Moll oben noch einen weiteren Halbton oben an (den Ton FA), dann sind schon die wesentlichen Halbtonschritte vorhanden, die zu einer Moll-Tonleiter gehören: zwischen dem 2. und 3. und zwischen dem 5. und 6. Ton. Der Abstand zwischen diesen beiden Halbtönen (TI und FA) ist ein Tritonus.

Sechstonraum Moll auf E.
Schluss des Liedes „Sascha geizte mit den Worten“

Ganztonleiter

Eine Ganztonleiter besteht nur aus Ganztonschritten, es darf kein Halbtonschritt darin vorkommen. Sie wird aus 2 Drillingen zusammengesetzt: 3 + 3 = 6. Auf dem Klavier ist dies sehr schnell zu finden, indem man einen schwarzen und einen weißen Drilling kombiniert. Die andere Möglichkeit ist ein schwarzer Zwilling und ein weißer Vierling.

Ganztonraum: 2 Drilinge
Ganztonraum: Vierling + Zwilling

Lieder aus Ganztonraum sind in der westlichen Musikkultur nicht üblich, in anderen Kulturen kommen sie durchaus vor. So wurde zum Beispiel der französische Komponist Claude Debussy durch die Begegnung mit einem javanischen Gamelan-Orchester auf der Pariser Weltausstellung 1889 entscheidend beeinflusst, in seinen folgenden Kompositionen andere Tonräume wie Pentatonik und Ganztonleitern zu verwenden und eine eigenständige Harmonik zu entwickeln.

https://youtu.be/p3HwqqiVxbE

Einfache Blues-Tonleiter

Ein weiterer Sechstonraum ist die einfache Blues-Tonleiter, die man aus pentatonisch Moll plus einer verminderten Quinte bilden kann. Der siebte Ton ist der gleiche wie der erste, darum zählt er nicht mit.

Siebentonräume

Aus sieben verschiedenen Tönen wird eine diatonische Tonleiter gebildet. Wenn man eine Tonleiter oder ein Lied spielt, spielt man zwar eigentlich immer 8 Töne, damit es vollständig klingt, doch weil der achte Ton wieder der gleiche ist wie der erste, nur eine Oktave höher, wird er nicht mitgezählt. Darum sprechen wir nicht von Acht-Ton-Räumen. In einem Siebentonraum sind zum Beispiel alle Töne einer Dur- oder Molltonart vorhanden. Siebentönigkeit wird auch Heptatonik genannt, von griechisch hepta = sieben.

Es gibt siebentönige Dur- , Moll- , Blues-, ungarische- und Kirchen-Tonarten. Auch einige Tonleitern in der indischen, chinesischen, indonesischen, frühgriechischen Musik haben 7 Töne. Aber sie beruhen auf einer anderen Einteilung der Oktave, und sind deshalb auf dem Klavier nicht spielbar.

Siebentonräume kann man aus zwei Viertonräumen (Tetrachorden) bilden. Es ergeben sich zwar 8 Töne, aber der 8. Ton zählt ja nicht mit:

Von Thommy Lasagno – own work (transferred from de:Image:Tetra.jpg), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4868139
Happy birthday to you. Tonraum von c‘ bis c“ (F-Dur)

Chromatische Tonräume

Im westlichen Musiksystem ist die Oktave in 12 Halbtonschritte unterteilt. Spielt man alle 12 Töne, erhält man eine Zwölftonleiter oder einen Zwölftonraum. Er wird auch Dodekaphonik (griechisch „dodeka“ = zwölf) genannt, die Tonleiter heißt auch Chromatische Tonleiter, was übersetzt einfach „farbig“ bedeutet. Chromatik wird üblicherweise so definiert:

Chromatik (altgr. χρῶμα (chrṓma) = ,Farbe‘) bezeichnet in der tonalen Musik die „Umfärbung“ diatonischer Tonstufen durch Erhöhung oder Erniedrigung (Hoch- bzw. Tiefalteration) um einen Halbton. Die chromatischen Varianten zum Beispiel zu f sind fis und fes.

https://de.wikipedia.org/wiki/Chromatik

Diese Definition geht allerdings wieder von der Dur-Moll-Tonalität aus, und beschreibt die Chromatik als Variante derselben. Dass Zwölftonmusik aber musikalisch etwas ganz Eigenständiges sein kann, wissen wir spätestens seit der Zweiten Wiener Schule und ihrem bekanntesten Komponisten Arnold Schönberg (1874-1951). Diese Zwölftonmusik wird auch als „atonale Musik“ bezeichnet. Sie hat wie die Pentatonik keinen durch Hören erkennbaren Grundton, ist also nicht „tonal“.

Chromatik findet sich in der Musik aller Epochen wieder: J. S. Bach schrieb eine Chromatische Fantasie und Fuge, Beethoven hat chromatische Tonleitern sehr gerne als Überleitungen zwischen Satzteilen oder zwischen eigentlich fremden Tonarten benutzt, bei Chopin gibt es häufig chromatische Passagen, die aus der Tonart herausführen. Es ließen sich noch unzählige Beispiele aufführen.

Der Zwölftonraum eignet hervorragend für freie Klang-Improvisationen zu Themen wie Zauberwald, Ameisenhaufen, Schlangen, Hexen und Geister, Feenschleier, unheimliches verschlungenes Dickicht, Feuer, Regen, Nebel, und so weiter.

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